Verluste in Wasser- und Wärmeversorgungsnetzen sind seit Langem ein chronisches Problem des kommunalen Sektors. In europäischen Ländern liegen nach Einschätzung der International Water Association nicht-kommerzielle Verluste (NRW) meist im Bereich von 15–35%, und in Wärmenetzen können Energieabwürfe sogar 20% überschreiten. Die Ursache liegt nicht nur in verschlissenen Leitungen, sondern auch darin, wie der Versorger auf deren Beschädigung reagiert: Üblicherweise wird ein Schaden erst festgestellt, wenn ein Keller bereits vollgelaufen ist oder sich auf der Fahrbahn ein „Springbrunnen“ gebildet hat. Der Umstieg auf prognostische Analytik bietet die Chance, den Fokus vom „Brände löschen“ auf „Brände verhindern“ zu verlagern und damit sowohl direkte als auch indirekte Verluste zu senken.
Vom Datenpunkt zur Prognose: wie die moderne Prozesskette aussieht
Der Weg vom telemetrischen Signal zur Managemententscheidung besteht aus vier logisch verknüpften Gliedern.
Zunächst erfolgt die Datenerfassung mit hoher zeitlicher Auflösung: Wasserwerke nutzen hierfür Ultraschall-Durchflussmesser und Drucksensoren, Wärmenetze setzen Temperatur- und vibroakustische Sensoren ein.
Es folgt die Vorverarbeitung der Daten: Ausreißer werden entfernt, verschiedene Kanäle synchronisiert und mit Wetter- sowie Kalenderinformationen angereichert.
Die dritte Ebene ist die Arbeit der Modelle des maschinellen Lernens. Wo ein gelabeltes Störungsarchiv vorliegt, kommen überwachtes Lernen zum Einsatz: Gradient Boosting, Random Forest oder LSTM-Netze, die feine zeitliche Dynamiken erfassen. Ist die Störungshistorie unvollständig, werden nichtüberwachte Verfahren eingesetzt – etwa Isolation Forest oder Anomalie-Autoencoder.
Der Prozess endet mit einem Empfehlungsteil: Das System registriert nicht nur die Abweichung, sondern bestimmt den wahrscheinlichen Leckage-Ort, weist ihm einen Risikowert zu und schlägt dem Disponenten ein konkretes Handlungsszenario vor.
Ökonomie der Früherkennung
Die Einführung von KI-Analytik hat bereits spürbare Ergebnisse gebracht. Britische Wasserwerke berichten im ersten Jahr nach Inbetriebnahme der Modelle von einer Reduktion der NRW um 5–7%, die Amortisationszeit des Projekts überschreitet dabei selten anderthalb Jahre.
Die Verringerung nicht erfasster Fördermengen schlägt sich unmittelbar in der Stromrechnung nieder; für Wärmenetzbetreiber zudem im Verbrauch von Netz- bzw. Ergänzungswasser und chemischen Reagenzien. Addiert man die Lebensdauerverlängerung der Leitungen (weniger Wasserschläge – weniger Mikrorisse) und die sinkende Frequenz von Noteinsätzen, wird klar, warum prädiktive Plattformen rasch vom „Technik-Novum“ zum strategischen Aktivposten werden.
Wie KI-Algorithmen eingeführt werden: Abfolge der Schritte
Üblicherweise beginnt man mit einer umfangreichen Bestandsaufnahme: Es wird eine Problemzone von 5–10 km Länge ausgewählt, intelligente Sensoren installiert und das Modell mindestens drei Monate lang auf Realwerten trainiert.
Der nächste Arbeitsschritt ist die Integration der Ergebnisse in bestehende Geschäftsprozesse. Wenn das Analysesystem eine Prognose liefert, der Reparaturauftrag aber weiterhin in Excel erstellt und ausgedruckt wird, bleibt die erwartete Wirtschaftlichkeit aus. Darum sollte die Pilotphase nicht nur mit der Validierung der Modellgenauigkeit enden, sondern auch mit der Kopplung an EAM-System, SCADA und das städtische GIS.
Erst danach kann skaliert werden: neue Bezirke anschließen, stadtweite Monitoring-Dashboards konfigurieren und die Servicekräfte auf proaktive KPI umstellen.
Hürden und Wege zu ihrer Überwindung
Die Hauptbarrieren liegen keineswegs in den Algorithmen. Am häufigsten verhindert die Fragmentierung der Daten die Einführung von KI: Wenn Druckdaten in einem Archiv, Durchflussdaten in einem anderen und Reparaturen in Papierjournalen geführt werden. Abhilfe schafft eine einheitliche Plattform mit transparenter API.
Das zweite Problem ist organisatorischer Widerstand: Meister sind es gewohnt, zu reparieren, wenn es „schon läuft“, nicht wenn es „laufen könnte“. Eine Änderung der Kultur gelingt durch Schulung des Personals und eine strikte Kopplung von Prämien an die Reduktion der Verluste.
Die dritte Gefahr sind Cyberrisiken. Hier hilft das klassische Maßnahmenbündel: TLS-Verschlüsselung, Netzsegmentierung, regelmäßige externe Schwachstellen-Audits.
Der Übergang zur prognostischen Analytik ersetzt die Notwendigkeit der Netzerneuerung zwar nicht, erlaubt aber, Investitionen zeitlich zu strecken und gezielt einzusetzen. Anstatt „einen Kilometer alte Leitung“ zu wechseln, weiß das Unternehmen im Voraus, welcher Abschnitt im kommenden Winter ausfallen dürfte. Die Kommune erhält transparente KPI – Leckniveau pro Kilometer und durchschnittliche Reaktionszeit. Für Versorgungsunternehmen wird ein solches System zum Wettbewerbsvorteil: Es senkt den Tarifdruck, verbessert ökologische Kennzahlen und erhöht die Resilienz der städtischen Infrastruktur auch ohne milliardenschwere Investitionen. KI-Algorithmen reparieren keine Leitungen, geben aber genau jene „Stunde Vorsprung“, die der Branche stets gefehlt hat.